Unerhörte Reden über Engel
| Von Ludger Verst |
Auf einen Beitrag von mir im Hessischen Rundfunk (hr 1) bekam ich letztens einen etwas seltsamen Brief. Ein Hörer aus Ludwigshafen schrieb:
„… Es ist ganz und gar unmöglich, dass Sie die Existenz von Engeln ignorieren können. Wir wissen doch aus der vergleichenden Völkerkunde, dass die Existenz und der Glaube, dass es diese Geistwesen gibt, gründlich bezeugt ist. Darum stimmt es traurig, wenn ich in Ihrem Beitrag im hr Ihre Auffassung höre. — So! Sie werden sofort anfangen, mit Ihrem Schutzengel zu reden. Aus Ihrem ungläubigen Beitrag erkenne ich, dass Sie es wohl kaum der Mühe wert erachten, mit diesem Ihrem Beschützer und Führer zu reden. …“
Hörerreaktionen solcher Art bekomme ich nicht alle Tage. Dabei hatte ich in einer Verkündigungssendung der katholischen Kirche, vielleicht etwas forsch, von „modernen Engeln“ in den Medien gesprochen und behauptet, mit dem „Engel des Herrn“ rechne in einer Informationsgesellschaft wohl kaum jemand mehr. Botschaften empfange man heute anders. Es gebe die Nachrichten, das Handy und das Internet. „Würde Maria uns heute nicht online von ihrem Glück erzählen? Und sich im Netz informieren, was sich zwischen Himmel und Erde Neues ereignet? In der Logik moderner Informationstechnologien haben Engel keinen Verkündigungsauftrag mehr. Mir begegnen sie eher in der Werbung für Lebensversicherungen denn als Botschafter in Gottesangelegenheiten.“
Und doch gibt es Engel auch heute noch wie Sterne am Himmelszelt. Sie fliegen uns zu in Kinofilmen; sie schauen uns zu von Plakaten, aus Schaufenstern, Anzeigen und Grußkarten; sie sind gedruckt auf Tassen, T-Shirts und Bettzeug. Kein Verlag lässt sich diese Thematik entgehen, meinem Freund und Kollegen begegnen sie bei jeder größeren Schreibpause auf seinem PC — als Bildschirmschoner: juvenil, goldig, barock.
All dies fand der Radiohörer aus Ludwigshafen offensichtlich überhaupt nicht gut: so wenig fromm von Engeln zu reden. Dabei habe ich mich noch nie dazu hinreißen lassen, despektierlich über Engel zu sprechen.
„Ein jeder Engel ist schrecklich.“ (R.M. Rilke)
Natürlich weiß ich, dass ich die richtigen Engel nicht mit den Putten auf den Bildern des Barock verwechseln darf. Von Rilke stammt der Satz: „Ein jeder Engel ist schrecklich.“ Sie erschrecken die Menschen, wenn sie in Erscheinung treten. Zwischen Himmel und Erde begegnen sie uns als eine Art geistiger Zwischenwesen mit Botschaften, die oft eine Zumutung sind.
Der Katholische Erwachsenen-Katechismus nennt sie „die unsichtbaren Begleiter und Wächter der Sehnsüchte und Hoffnungen des Menschen“. Weiter heißt es dort: „Die Aussagen über die Engel begegnen heute vielen Einwänden und Verstehensschwierigkeiten. Ohne Zweifel drückt die Schrift die Lehre von den Engeln weithin in mythologischen Sprachformen und in den Vorstellungen der damaligen Zeit aus. (…) In der christlichen Frömmigkeit wurden sie nicht selten verharmlost, verniedlicht und verkitscht. Ein ernsthaftes Sprechen ist auch deshalb schwierig, weil wir dabei an Grenzen der menschlichen Aussagemöglichkeiten geraten. (…) Auf der anderen Seite sollten wir freilich auch sehen, dass die Wirklichkeit umfassender und tiefer ist, als eine rationalistisch missverstandene Vernunft ahnt. (…) In der Bildersprache des Mythos drückt sich eine wesentliche Dimension der Wirklichkeit aus, die rein begrifflich kaum zu fassen ist“ (KEK 1985, 109f.).
Wie aber soll man sich nun die Kommunikation zwischen Engeln und Menschen vorstellen? Die Frage beschäftigt Experten seit Jahrhunderten. Sie hängt mit der Frage zusammen, ob Engel sprechen können — und wenn ja, wie?
Sind Engel körperliche Wesen?
Die Bibel spricht bei Engelerscheinungen nie von deren Körper, sondern bezeichnet sie als Geistwesen. Sie spricht nicht von der Seele oder vom Geist eines Engels, sondern davon, dass seine Natur wesentlich geistig sei. Die Überzeugung, in unserem Leben Engel gegenwärtig zu wissen, hat bereits eine gute theologische Tradition. Die Kirchenväter mussten gegenüber der Stoa die reine Geistigkeit der Engel betonen, gegenüber der Gnosis deutlicher ihre Geschöpflichkeit. Als letzter der lateinischen Kirchenväter stellt Johannes von Damaskus († 754) fest: „Die Engel sind wohl ohne Körperlichkeit im Vergleich zu den materiellen Körpern, die sich in der Schöpfung vorfinden, jedoch im Vergleich zu Gott und Christus (…) sind sie körperlich.“
Auch Thomas von Aquin bearbeitet in seiner Summa Theologiae (q. 51, a. 2) die Frage, ob Engel Körper annehmen können: Thomas hält fest, dass Engel von ihrer eigenen Natur her nicht körperlich sind, dass sie aber bei ihrer Arbeit, bei der Beherrschung des Universums und besonders in ihrer Beziehung zu Menschen Körper annehmen oder etwas, das körperlich zu sein scheint. Weiter hält Thomas fest, dass die Engelerfahrungen der Menschen nicht nur privater Natur und unsere Imaginationen von Engeln nicht ausschließlich subjektiv sind. Er sagt, dass Engelbegegnungen intersubjektive Erfahrungen von Wahrheit sind. Sie erscheinen der Imagination vieler Menschen und durchbrechen damit den Subjekt-Objekt-Dualismus. Und ein Drittes sagt Thomas: Engel brauchen Körper nicht um ihrer selbst willen, sondern für uns. Es gehört zur besonderen Kraft der Engel, uns in körperlicher Form beizustehen, mit uns zu kommunizieren und von uns erkannt zu werden.
Die Frage der Stofflichkeit, der Geschöpflichkeit von Engeln und Menschen ist theologisch wie auch im Blick auf die Digitalität unserer heutigen Lebenswelt von erheblicher Bedeutung. Der digitale Mensch überwindet, anders als früher, mühelos Raum und Zeit. Digitale Netzwerke ermöglichen Exploration, Verbindungen zwischen Fernliegendem, bislang Unmöglichem; sie bedienen unsere Sehnsucht nach Einheit und Integration und einer neuen Verbindung zwischen Himmel und Erde. Alles ist möglich. Und alles ist jetzt. Die digitale Medienkultur schafft religionsproduktive Potenziale, die als Zeichen der Zeit verstanden werden müssen.
Engel sind Verbündete bei der ‚Ein-Bildung‘ des Göttlichen
Vor diesem Hintergrund gewinnt die religiöse Rede von den Engeln eine neue Brisanz, eine im Blick auf Netzwerk-Phantasien und Cyber-Euphorien vielleicht sogar kritisch-vermittelnde Relevanz. Ihr Kontrastprogramm bestünde darin, mit den Möglichkeiten und Grenzen unserer raumzeitlichen Vorstellungen produktiv umzugehen und nicht vorschnellen Erlösungsphantasien zu erliegen. „Produktiv“ will sagen: von der körperlich-materiellen Welt ausgehend unsere geistig-geistlichen Potenziale in diese einzubringen und zu nutzen. Engel könnten Verbündete sein bei der Imagination, bei der ‚Ein-Bildung‘ des Göttlichen. Aber nicht so, dass hier die menschliche Phantasie sich quasi selbst erschiene, also letztlich nur bei sich und dadurch im Grunde beliebig bliebe, sondern sich intersubjektiv vergewissert, dass sie ihre Botschaft, ihre Erleuchtung viel mehr von oben oder von unten, jedenfalls von jemandem zugesprochen bekäme, der im Menschen selbst längst anwesend ist. Eine Spiritualität, die mit den Engeln rechnet, ginge — theologisch gesprochen – von dem Vertrauen aus, dass der Geist Gottes viele Wege geht und Anläufe nimmt, ja, dass „er weht, wo er will“ (Joh 3, 8), dass er sich jeder und jedem mitteilen will und wir Menschen Anteil an ihm gewinnen können und Einsicht in das, was uns am Leben und die Welt zusammen hält.
„In weiter Ferne, so nah!“
Inkarnation scheint notwendig zu sein, damit Menschen überhaupt leben und etwas lernen können. Erkenntnisgewinn, Selbst-Bewusstsein, Entwicklung wären in dieser Hinsicht geschenkte Augenblicke engelhafter Geistesgegenwart in und inmitten der Materialität dieser Welt. Darin leisten Engel einen medialen Transfer. Sie wollen Medien sein und Botschafterdienste leisten. Und können so auch in den Medien selbst zum Thema werden. Sie kennen sicherlich einige Beispiele, vielleicht auch die im Begleitprogramm zu dieser Ausstellung schon gezeigten Filme „Der Blaue Engel“, „Himmel über Berlin“ und „Stadt der Engel“.
Ich möchte Ihnen – nicht zuletzt zur Illustration des bisher Gesagten – in Auszügen einen weiteren Engel-Film aus der Werkstatt von Wim Wenders vorstellen und zwar „In weiter Ferne, so nah!“ aus dem Jahr 1993. Wenders eröffnet schon mit der Eingangssequenz einen religiösen Raum, indem er die Zuschauer in die geheimnisvolle Sphäre der Engel einführt. Er knüpft dabei an ein durchaus geläufiges Verständnis von Engeln an. Auch hier sind die Engel nicht um ihrer selbst willen da. Sie haben einen Auftrag; sie stehen im Dienst der Menschen. Wie Wenders diesen Dienst der Engel — in filmischer Fortsetzung zu „Himmel über Berlin“ (1987) — im inzwischen wiedervereinigten Berlin versteht und wie die Kommunikation zwischen Engeln und Menschen filmästhetisch in Szene gesetzt wird, das sollen die folgenden ausgewählten Filmsequenzen illustrieren. Schauen Sie (später) gern auch in das Skript mit den entsprechenden Off-Texten des Filmerzählers:
(1)
„Ihr, Ihr, die wir lieben, Ihr seht uns nicht. Ihr hört uns nicht.
Ihr wähnt uns in weiter Ferne, doch sind wir so nah.
Wir sind Boten, die Nähe zu tragen zu denen in der Ferne.
Wir sind Boten, das Licht zu tragen zu denen im Dunkeln.
Wir sind Boten, das Wort zu tragen zu denen, die fragen.
Wir sind nicht Licht, wir sind nicht Botschaft.
Wir sind die Boten.
Wir sind nichts.
Ihr seid uns alles.“
(2)
„Es ist so mühsam geworden, jemanden zu lieben, der immer hartherziger vor uns davonläuft. Warum meiden sie uns immer mehr, die Menschen? Weil wir einen mächtigen Feind haben, Raphaela. Die Menschen glauben der Welt so viel mehr als uns. Und damit sie ihr immer mehr glauben können, haben sie sich von allem ein Bild gemacht. Mit Bildern glauben sie sich ihrer Angst entledigt, mit Bildern glauben sie ihre Hoffnung erfüllt, ihre Freude befriedigt, ihre Sehnsucht gestillt. Die Menschen haben sich nicht die Erde untertan gemacht; sie sind ihr untertan geworden.“
(3)
„Das ist also die Einsamkeit, Raphaela. O, das ist schlimm, sag ich dir. Keiner hört, was im Anderen vorgeht. Keiner sieht dem Anderen ins Herz. Niemand fragt mal was, nicht mal nach dem Weg. Was soll ich denn hier überhaupt? – Rumlungern und zugucken, wie’s ständig Tag wird und wieder Nacht? Nichts macht mehr Sinn. (…) Es schafft sich jeder in seinem eigenen Sehen und Hören seine eigene Welt. Und darin ist man ein Gefangener. Und aus seiner Zelle sieht man die Zelle der Anderen.“
(4)
„Wir Menschen sind ja so angewiesen auf das Sichtbare, Raphaela. Nur was wir sehen können, zählt; nur daran glauben wir. Das Unsichtbare kommt nicht mehr an. Nur was wir anfassen können, gibt es für uns auch wirklich.“
(5)
„Ihr, Ihr, die wir lieben, Ihr seht uns nicht. Ihr hört uns nicht.
Ihr wähnt uns in weiter Ferne, doch sind wir so nah.
Wir sind Boten, die Nähe zu tragen zu denen in der Ferne.
Wir sind nicht die Botschaft.
Wir sind die Boten.
Die Botschaft ist die Liebe.
Überarbeiteter Text eines Vortrags in Telgte im Rahmen einer Engel-Ausstellung im Museum Heimathaus am 30. Juli 2001
© 2020 Ludger Verst
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